18. Sep 2019

Kennzahlen und die Kundenzufriedenheit

Der italienische Wirt und der Braten im Rohr

Gemütliches Abendessen bei meinem Lieblingswirten. Wie meistens war ich zufrieden – die Bedienung war zuvorkommend, das Essen ok und das Preis/Leistungs-Verhältnis angemessen. Die Frage beim Abservieren „Hat alles gepasst?“ fasse ich rhetorisch auf, genauso wie mein „alles ok“. In diesem Lokal würde ich als Stammgast sofort reagieren, wenn ich Reklamationen hätte.

Neulich im Wirtshaus

Ich gehe davon aus, dass mein Wirt die Speisen in hoher Qualität zubereitet, sie entsprechend anrichtet und das Personal aufmerksam und freundlich für die Zufriedenheit der Gäste sorgt – aber es kann immer etwas passieren. Das Fleisch ist noch zu blutig oder zu stark durchgebraten, das Essen ist nur lauwarm, der Koch ist verliebt (zeigt sich in übermäßigem Salzgebrauch), die Mengen passen nicht. Das nachträgliche „hat alles gepasst?“ kommt zu spät.

Dann denke ich an Bella Italia – dort gibt es noch Wirte und Wirtinnen, die im Lokal präsent sind und auch während der Konsumation unaufdringlich und ehrlich fragen, ob der Gast mit dem Menü und dem Service zufrieden ist. Bei Unzulänglichkeiten wird sofort reagiert, der Gast erzählt seinen Freunden „Die Spaghetti waren zuerst nur lauwarm, aber der Wirt hat sie sofort ausgetauscht und uns später mit einem Likör verwöhnt.“

Kennzahlen im Qualitätsmanagement

Das Qualitätswesen lebt von Vergleichswerten. Wir messen die Kundenzufriedenheit, bewerten Lieferanten, versehen unsere Prozesse mit Kennzahlen, überprüfen die Strategieerreichung mit diversen kaufmännischen und quantitativen Statistiken.

Ein kritischer Blick zeigt, dass die meisten dieser Zahlen die Vergangenheit betreffen. Umsatz- und Mengenergebnisse des letzten Quartals, Kundenbefragungen nach Konsumation der Produkte und Dienstleistungen, Prozesskennzahlen am Ende der Prozessröhre.

Ein Blick in die Küche

Der Braten ist im Rohr, der Eintopf brodelt im Topf. Jede gute Köchin und jeder vernünftige Koch wird laufende Qualitätskontrollen durchführen, um sicherzustellen, dass die fertigen Speisen den Ansprüchen gerecht werden. Etwa durch optische Kontrolle, Kosten und Abschmecken, oder Überprüfung der Temperatur.

Was heißt das für unsere Prozesse? Die Zutaten bilden den Input, das fertige Gericht ist der Output mit der Kennzahl „Schmeckt mir“ – abhängig natürlich von den Vorlieben und Erwartungen der Essenden. Die Prozessindikatoren – Kennzahlen, die den Prozess während der Ausführung kontrollieren – sorgen dafür, dass das „Schmeckt mir“ gute Werte liefert.

Zurück zur Kundenzufriedenheit

Unser Geschäft ist die Organisation und Durchführung von Weiterbildungsveranstaltungen, unsere Kunden sind in erster Linie die Kursteilnehmer. Am Ende eines Kurses füllen diese einen Fragebogen aus, um uns den Grad ihrer Zufriedenheit mitzuteilen. Und das ist, speziell bei längeren Lehrgängen, definitiv zu spät. Das war zumindest ein Potential, das im Rahmen eines EFQM-Assessments vor einigen Jahren identifiziert wurde.

Parallel dazu beschäftigten wir uns damals mit einem Projekt, das die stärkere Einbindung unserer Trainerinnen und Trainer in die Strategiearbeit zum Inhalt hatte.

Der erste Ansatz war, diese Zufriedenheitserhebung während der Veranstaltung (wie beim italienischen Wirt) den Produktverantwortlichen zu übertragen. Um die Stimmung zu erfassen wurden sie angehalten, den Kurs nach einigen Wochen zu besuchen. Diese Besuche haben sich in Richtung Kursbeginn verschoben – im Rahmen der Kurseröffnung stellten sich die Produktmanager vor mit dem Hinweis, die Ansprechpartner bei auftretenden Problemen zu sein. Sie haben ja auch die Kompetenz, gewünschte Anpassungen umzusetzen bzw. Zusagen zu machen. Leider hat dieses Vorgehen aus verschiedenen Gründen nicht den erwarteten Erfolg gebracht.

Einen weiteren Ansatz fanden wir bei unseren Kollegen in Tirol. Dort werden Studenten als „Qualitätssicherer“ eingesetzt, die als Externe während der Veranstaltung unvoreingenommen mit Hilfe eines strukturierten Fragebogens die Wünsche und Anregungen der Kursteilnehmer abfragen. Dieses Vorgehen wird von allen Betroffenen als sehr erfolgreich empfunden.

Das Besuchersystem

Warum nicht zwei Fliegen mit einem Schlag erledigen und das Tiroler Modell mit unserer Trainerstrategie verknüpfen? Unter diesem Aspekt haben wir das Kärntner Besuchersystem entwickelt.

  • Alle Kurse mit mindestens 40 Lehreinheiten werden nach circa einem Drittel der Kursdauer von erfahrenen Trainerinnen und Trainern (aus anderen Fachbereichen) besucht.
  • Diese Besuche dauern maximal 30 Minuten, der aktuelle Vortragende ist (üblicherweise) nicht anwesend.
  • Ziel ist die (naturgemäß auch subjektive) Erfassung der Stimmung in der Veranstaltung, die mit einem Ampelsystem über eine eigens entwickelte App festgehalten wird.
  • Diese Ergebnisse werden gemeinsam mit den Kommentaren der Besucher spätestens am nächsten Tag an die Kursverantwortlichen und den Institutsleiter übermittelt.
  • Eine rote Ampel bedeutet „Sofortiger Handlungsbedarf erforderlich!“, gelb bewirkt ein rasches Handeln der Verantwortlichen und grün heißt „alles ok“. Natürlich liefern die schriftlichen Ausführungen der Besucher auch Verbesserungsmöglichkeiten.

Mit diesem System, das im Rahmen einer jährlichen Besucher-ERFA evaluiert und angepasst wird, können wir rechtzeitig auf Unzulänglichkeiten reagieren und damit die Kundenzufriedenheit auf hohem Niveau halten.

Womit wir wieder bei meinem Lieblingswirten sind, der inzwischen eine Exkursion in unser südliches Nachbarland gemacht hat und schon während meines Besuches sicherstellt, dass ich zufrieden sein Lokal verlasse. Er kann sicher sein: Ich komme wieder!

Zum Autor

Portrait Gerald StoiserGerald Stoiser verdient seinen Lebensunterhalt als IT-Manager am WIFI Kärnten. Seit über 15 Jahren lebt er als Assessor den EFQM-Gedanken und begleitet als wesentliche Unterstützung der Geschäftsführung das WIFI Kärnten auf dem Weg zur Excellence.

www.wifikaernten.at

www.gstoiser.at

Mehr zu den Erfolgen des WIFI Kärnten finden sie hier.

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