01. Dez 2021

Der Stellenwert von Vertrauen für Organisationen auf dem Weg zur Exzellenz

Mehr als ein Bauchgefühl?

Die COVID-Krise hat es sichtbar gemacht: Vertrauen ist das Schmiermittel, mit dem auch in unsicheren Zeiten erfolgreich agiert wird. Was macht den Unterschied? Was ist „Vertrauenskultur“ in einer Organisation? Und wie kann man Vertrauen messen?

Schon der erst Lockdown im März 2020 hat gezeigt, welch wichtige Rolle der Faktor Vertrauen auch in Organisationen spielt: Büros waren leergefegt, Führungskräfte und Mitarbeitende mussten oft im Homeoffice arbeiten. Welche Organisationen konnten diese neuen Rahmenbedingungen reibungslos bewältigen? Neben technischer Machbarkeit wohl jene Organisationen, bei denen ein hohes Vertrauensverhältnis zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden vorhanden war. Vertrauen wurde zur wichtigsten Ressource im Unternehmen, um krisenhafte Zeiten gemeinsam zu bewältigen. Mit einem kräftigen Misstrauensvorschuss und Kontrollbedürfnis tat man sich wohl eher schwer. Wenn’s eng wird, tritt die wahre Unternehmenskultur zu Tage. Wie durch ein Brennglas konnte man schon in dieser Phase erkennen: Vertrauen ist ein nicht wegzudenkendes „Betriebsmittel“, das über Erfolg oder Misserfolg kräftig mitentscheidet! Doch wie kann man das Thema konkret fassbar machen?

 

Mehr als ein Bauchgefühl?

Treffen Sie auch Entscheidungen, die auf einem Bauchgefühl beruhen? Grundsätzlich ist es gut, der eigenen Intuition zu vertrauen. Denn man greift dabei auf Erlebtes und Erfahrenes zurück und kann so in ähnlichen Situationen sehr rasch entscheiden, ohne lange Gedanken rational zu wälzen. Auch in der Beurteilung von Situationen oder Menschen greifen wir (meist unbewusst) auf unseren vergangenen Erfahrungsschatz zurück, der uns aber auch täuschen kann. Denn vielleicht ist die Situation ganz anders als angenommen oder wir wünschen uns einfach, einem bestimmten Menschen vertrauen zu können und geben hier schon unberechtigt einen Vorschuss an Vertrauen?

Vertrauen oder Misstrauen ist jedenfalls ein höchst individuelles, persönliches Gefühl, welches auf der eigenen Erfahrungswelt beruht. Positive Erwartungshaltungen und negative Vorgeschichten prägen unsere Einschätzung und unser Verhalten in neuen Situationen.

Was bedeutet das nun für Organisationen und Unternehmen, in denen ja erfolgreiche Kooperation wohl ein Schlüsselfaktor für den Gesamterfolg ist? Und kann dem Begriff „Vertrauen“ eine Messbarkeit zugrunde gelegt werden? Wenn Vertrauen messbar wäre, hätte man im Qualitätsmanagement einen wunderbaren Key Performance Indicator (KPI) für verschiedenste Messpunkte wie „Führungskultur“, „Markenwert“, „Zusammenarbeit“, „Mitarbeitendenzufriedenheit“, „Kund*innenzufriedenheit“, etc.

Der Versuch einer Formel für das Bauchgefühl

In vielen Wissenschaften ist die Formel eine prägnante Art, Informationen symbolisch auszudrücken. Bildhafte Darstellungen erleichtern uns das Verständnis. Es gibt schon einige Versuche, den Begriff „Vertrauen“ als Formel darzustellen. Hier nun meine subjektive Definition:

Bzw. in ganzen Worten ausgedrückt:

Unter Zuverlässigkeit wird hier der Einhaltungsgrad von Vereinbarungen verstanden. Glaubwürdigkeit definiere ich hier als Ehrlichkeit x Kompetenz, Nähe als Offenheit x Erreichbarkeit. Und unter Eigennutzorientierung wird hier der Grad für ein egoistisches Grundmotiv angegeben. Je höher der Zähler und je niedriger der Nenner, desto höher ist der Vertrauensfaktor.

 

Was ist unter den einzelnen Begriffen zu verstehen?

·         Zuverlässigkeit

So manche Erfahrung mit Handwerkern hat mich gelehrt: Manchmal sind sie früher da als vereinbart, manchmal später, manchmal gar nicht. Es kam auch schon vor, dass sie die falschen Werkzeuge / Materialien dabei hatten. Bei unserem Auto haben wir wohl eine andere Erwartung. Springt es an? Funktioniert die Gangschaltung? Die Bremse? Das Gaspedal? Da erwarten wir uns 100%ige Zuverlässigkeit und jede Abweichung wäre eine Katastrophe.

Zuverlässigkeit ist im Arbeitsleben innerbetrieblich ein wichtiger Faktor, um Prozesse reibungslos ablaufen lassen zu können. Das Einhalten von Deadlines, von Vereinbarungen, von Zusagen ist ein Gradmesser, ob „Vereinbarungen in der Regel halten“. Messbar ist dies in Fragebögen mit Formulierungen wie „Meine Führungskraft hält Zusagen stets ein“ oder „Der Kundendienst kümmert sich stets um die Erfüllung meiner Anliegen“.

·         Glaubwürdigkeit

Ich definiere Glaubwürdigkeit durch zwei Komponenten:

Ehrlichkeit: in Zeiten von Fake News wird es immer wichtiger, ein gutes Gefühl dafür zu entwickeln, ob es sich bei einer Aussage oder Verhaltensweise um eine wahre oder falsche Tatsache handelt („Potemkinsche Dörfer“). Messbar wird dies beispielsweise mit: „Meine direkte Führungskraft lebt vor, was sie sagt“ oder „Das Produkt hält, was es verspricht“

Kompetenz: Ist die Quelle eine Aussage oder Information mit der nötigen Kompetenz ausgestattet? Ist ein Spezialistin in einem Gebiet „echt“ und hat sie ausreichend Referenzen? Kompetenz könnte mit diesen Formulierungen gemessen werden: „Meine Führungskraft führt unseren Bereich hervorragend“ oder „Produkte und Dienstleistungen des Unternehmens erfüllen stets alle Qualitätsanforderungen“

·         Nähe

Was hilft es mir, wenn ich in einem „Moment der Wahrheit“ Unterstützung nicht erhalte? Wenn ich eine Notfallnummer wähle und in einer Warteschleife Zeit verliere? Zwei Komponenten sind entscheidend.

Erreichbarkeit: Wenn eine Person, der ich vertraue, im Notfall nicht verfügbar ist, hilft mir das nicht. Messbar in Fragebögen wäre dies beispielsweise mit „Meine Führungskraft hat für mich immer ein offenes Ohr“ oder „Meine Führungskraft ist stets erreichbar, wenn ich sie brauche“. Im Kundenkontakt: „Ich kann meinen Betreuer stets zeitnah erreichen“ oder „Ich bekomme stets zeitnah Feedback über den Status meiner Anliegen“.

Offenheit: Kann mein Gegenüber zuhören und nimmt es meine Anliegen ernst? Ist mein Ansprechpartner empathisch? Zunehmende Distanz (örtlich, aber auch psychologisch) ist ein negativer Faktor für Vertrauen. Wohl eine Kern-Herausforderungen von Bots oder anderen Systemen mit künstlicher Intelligenz, die (vermeintlich) vorgefertigte Antworten geben. Aber auch für manchen Mitmenschen ist Kommunikation eine Einbahnstraße. Messbar wird der Faktor z.B. durch „Meine Führungskraft nimmt meine Verbesserungsvorschläge ernst“ oder „Eventuelle Beschwerden werden stets zufriedenstellend gelöst“.

Diese Parameter im Zähler multiplizieren sich gegenseitig und erhöhen das Vertrauen oder aber streben nach 0, wenn auch nur einer der Faktoren sehr schwach ausgeprägt ist.

·         Eigennutzorientierung

Dieser Faktor steht im Nenner der Formel. Hier geht es stark um die Einschätzung, wie sehr das Gegenüber egoistische Motive in der Beziehung hegt oder ob es an einer win-win-Situation mit Vorteilen für beide Seiten interessiert ist. Starke Eigennutzorientierung (hoher Wert im Nenner) führt dazu, dass alle anderen Faktoren trotz vielleicht hoher Ausprägung nicht ausreichend Vertrauen aufbauen können. Konkret denke ich hier z.B. an eigene Erfahrungen als Kunde mit der Einführung von Kontospesen oder Negativzinsen ohne Gegenleistung. Es soll auch Führungskräfte geben, die Leistungen ihrer Mitarbeiter als ihren eigenen Erfolg verkaufen …  Messbar wird dieser Faktor z.B. durch Fragen wie „In unserem Arbeitsbereich gehen wir fair miteinander um“ oder „Die Produkte / Dienstleistungen haben ein faires Preis-Leistungs-Verhältnis“.

Lassen Sie sich die „Vertrauens-Formel“ durch den Kopf gehen. Und lassen Sie sich inspirieren, auch in Ihrer Organisation die Vertrauenskultur zu stärken. Eine professionelle Befragung mit passend formulierten Fragen zeigt auf, wo noch Optimierungspotenzial vorhanden ist.

Nachlese: Definitionen und Gedanken zum Thema Vertrauen

  •  Duden: „festes überzeugt sein von der Verlässlichkeit, Zuverlässigkeit einer Person oder Sache“
  • Wikipedia: „Vertrauen bezeichnet die subjektive Überzeugung von der Richtigkeit, Wahrheit von Handlungen, Einsichten und Aussagen bzw. der Redlichkeit von Personen. Vertrauen kann sich auf einen anderen oder das eigene Ich beziehen.“
  • Gabler Wirtschaftslexikon: „Vertrauen ist die Erwartung, nicht durch das Handeln anderer benachteiligt bzw. geschädigt zu werden; als solches stellt es die unverzichtbare Grundlage jeder Kooperation dar, die sich immer dort ergibt, wo Akteure (Vertrauensnehmer), die Einfluss auf andere (Vertrauensgeber) haben, über die Freiheit verfügen, in ihrem Handeln die Interessen anderer zu berücksichtigen oder nicht.“

 

Und hier noch die philosophische Sichtweise:

„Vertrauen ist eine Oase des Herzens, die von der Karawane des Denkens nie erreicht wird.“

© Khalil Gibran (1883 – 1931, libanesisch-amerikanischer Philosoph)

Und ein guter Ruf, der auf Vertrauen und Glaubwürdigkeit beruht, ist Voraussetzung für erfolgreiche Unternehmen und Organisationen. „Es dauert 20 Jahre, einen guten Ruf aufzubauen und fünf Minuten, ihn zu ruinieren.“

© Warren Buffet (*1930, Investor)

Zum Autor

Mag. Mario Filoxenidis ist seit 20 Jahren Unternehmensberater und seit 8 Jahren Geschäftsführer von EUCUSA. Nach dem Motto „wirksam fragen – wertvoll handeln“ gestaltet er mit seinem Team maßgeschneiderte Feedback-Systeme mit fundierter Ergebnisaufbereitung. Das Beratungsunternehmen mit Sitz in Wien hat sich seit 1998 auf die Durchführung strategischer Mitarbeitenden- und Kund*innenbefragungen sowie die Begleitung der Folgeprozesse spezialisiert.

www.eucusa.com

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