24. Feb 2021

Ein Orchester als „Wegweiser“

Organisations­kultur

Ich war etwas verwundert, als ich nach Abschluss der militärischen Grundausbildung, mehr oder weniger inspiriert von einem für mich bis dato neuem Wertemodell, erstmal meine Dienststelle für die nächsten 12 Monate betrat: die Räumlichkeiten der Klagenfurter Waisenhauskaserne, der Militärmusik. Vor der Kanzlei des über die Grenzen hinaus anerkannten Militärkapellmeisters war in großen Lettern zu lesen: „Zum Musizieren braucht man kein Militär!“.

Der erste Eindruck erlaubte mir keinen Schluss, da die Militärmusik als Repräsentationseinheit in der Bevölkerung große Anerkennung findet und direkt mit dem Österreichischen Bundesheer in Verbindung gebracht wird. War es also eine Provokation des Musikoffiziers im Rang eines Oberstleutnants? Soviel vorweg: nach den 12 Monaten konnte ich diese Analyse für mich persönlich abschließen, insofern, dass die Worte am Eingang zur Kanzlei sinnstiftende und kulturelle Berechtigung für diesen Klangkörper haben.

Organisationskultur und Organisationsführung sind im „Kriterium 2“ des EFQM Modells abgebildet. Kultur und Führung sind auch im Bundesheer tief verankert. Werte wie Gehorsam, Respekt, Durchhaltevermögen, Kameradschaft, Verantwortung oder Disziplin sind nach meiner persönlichen Wahrnehmung Grundlagen des „militärischen Verständnisses“. Diese sind wohl ohne Zweifel, so mein damaliger Eindruck, mit noch höheren Maßstäben auf eine Einheit mit Repräsentationsaufgaben, wie die der Militärmusik, umzulegen.

EFQM-Teilkriterium 2.1 „Organisationskultur lenken und ihre Werte fördern“

Es folgte die militärmusikalische Ausbildung. Die Militärmusik ist dadurch definiert, den Zweck des Bundesheeres „Schutz und Hilfe“ in musikalischer Form (positiv) an die Bevölkerung zu bringen. Das war uns allen, sehr schnell klar (gemacht worden) – wir hatten den Zweck verstanden. Als der Herr Oberstleutnant erstmal zu uns sprach, waren viele von uns – so auch ich – nicht nur von seiner Aura beeindruckt, sondern auch davon, dass er unmissverständlich zum Ausdruck brachte, was er mit uns gemeinsam erreichen möchte: ein hochprofessioneller, harmonischer, über blasmusikalische Grenzen hinaus forschender und vorbildhafter Klangkörper Österreichs (Anm.:  nicht nur Kärntens) zu sein und dabei kameradschaftlich zu agieren. Auch die Vision war klar. Wir alle wussten, dass die Erreichung nur durch unser Zutun und unsere Taten gelingen wird (vgl. EFQM 2.1 „… übersetzt Werte in Normen und Verhaltensweisen, die durch Taten vorgelebt werden, …“).

Das Auswendiglernen und Perfektionieren von Dienstmusik (darunter fällt z.B. der bekannte „Österreichische Zapfenstreich“), tägliches Musikexerzieren (z.B. Marschieren mit klingendem Spiel), gemeinsames Üben zur Justierung der Harmonie waren an der Tagesordnung. Solisten waren nur dann gefragt, wenn sie „gefragt waren“ und es die Partitur so verlangte. Viel wichtiger wurde das „aufeinander Hören“, das „Zuhören“, das „Spüren“ und sich in „ein Gesamtes einfügen“ um Harmonie, Klang, Gefühl und letztlich ein (Gesamt-)Erlebnis für den Zuhörer zu ermöglichen. Ein Zugang der sich qualitativ vom „Blasmusik-Mainstream“ abhebt (vgl. EFQM 2.1 „… veranschaulicht gewünschte Verhaltensweisen und soziales Bewusstsein und stellt sicher, dass ihre Mitarbeitenden die gewünschten Verhaltensweisen in ihren Taten zeigen…“).

EFQM-Teilkriterium 2.2 „Rahmenbedingungen für erfolgreiche Veränderung gestalten“

Gemeinsames Üben (Proben) verfolgt naturgemäß den Sinn, zu lernen und sich zu verbessern. Das impliziert, dass während dieses Vorganges Fehler gemacht werden. Etwas weiter betrachtet ist die „Probe“ auch eine Standortbestimmung für jeden einzelnen Musiker, ob die persönlichen Fertigkeiten am Instrument für die Herausforderungen (Anforderungen) der jeweiligen Komposition ausreichen, verbessert werden müssen oder – und das kommt vor – möglicherweise nicht ausreichend sind. Da braucht es eine offene Fehlerkultur ohne Schuldzuweisungen, vor allem die verinnerlichte Ermächtigung jedes einzelnen im System wirkenden Mitarbeiters (= Musikers), für sich selbst zu erkennen, wo noch Einzelübungen notwendig sind oder wo es schlicht weg nicht vermeidbar ist, während zu schwierigen Passagen das Instrument zwar angesetzt zu lassen, aber keinen „Ton“ von sich zu geben (vgl. „… schafft Verhältnisse, die eine Haltung frei von Schuldzuweisungen fördern und Raum geben zum Ausprobieren, Fehlermachen und Lernen“). Dieser Umstand muss wiederum vom Team (vom Register) getragen sein. In der Tat war unser kameradschaftliches Gefüge im Orchester nach einigen Wochen soweit gefestigt, dass dieser Umgang miteinander kulturelle Grundlage für erfolgreiche Veränderung (musikalische Weiterentwicklung) war. Es gab kein „Fingerzeigen“ bei Fehlern und es existierte Toleranz für persönliche Grenzen. Es gab – das möchte ich festhalten – interessanteweise kein „schwarzes Schaf“, das sich mit Faulheit hinter der Kompetenz des Orchesters versteckte und so „überlebte“. Ein solches, davon bin ich überzeugt, wäre „kulturell aufgeflogen“ und es hätte möglicherweise die Konsequenz der Versetzung zu einer anderen Einheit nach sich gezogen.

EFQM-Teilkriterium 2.3 „Kreativität und Innovation ermöglichen“

Bei der Inszenierung einer Komposition, die durch „Noten“, Artikulationsvorgaben und Dynamik (z.B. lauter und leiser werden) verschriftlicht ist und an der über 50 Musiker unterschiedlicher Instrumentengruppen mitwirken, ist individuelle Kreativität und Innovation wohl nicht gefragt, außer es handelt sich um ein Musikstück mit „Improvisationspassagen“, wie wir diese z.B. aus dem Jazz kennen. Meint man vielleicht am ersten Blick. Computer sind heutzutage in der Lage, Musikstücke, ohne einen einzigen Fehler zu spielen. Dynamik ist einprogrammiert. Aber das Publikum empfindet dabei nicht das, was dem gleichkommt, wenn das Werk durch Menschen interpretiert wird. Musiker interpretieren also. Wesentlich dabei ist jedoch, dass diese Interpretation und Inklusion von Kreativität und Innovation in eine, vom Dirigenten vorgegebene, gemeinsame Richtung gelenkt wird. Dann entsteht aus dem Pragmatismus der Noten plötzlich Gefühl. Dieser Weg ist herausfordernd. Bei moderner Musik (z.B. der Atonalität) ist disruptives Denken (Handeln) gefragt. Akkorde klingen nicht wie gewohnt und werden als fremd empfunden. Die Auseinandersetzung mit dieser Thematik – so meine Erfahrung – leistete indirekte, aber erhebliche Beiträge zur Erreichung von Zweck und Vision. Auch beim Routine-Aufmarsch zur Angelobung von Jungsoldaten. Das Abkommen vom üblichen Weg und das Ausprobieren vom Unbekannten, brachten gesamtheitlich innovative und kreative Seiten zum Vorschein. Dieses Vorgehen war von unserem Militärkapellmeister sehr bewusst so gewählt. Er setzte herausfordernde Ziele, regte zur Disruption im musikalischen Sinne an und nutzte diese Auseinandersetzung dafür, das Orchester weiterzuentwickeln. Mit Erfolg!

EFQM- Teilkriterium 2.4 „Gemeinsam und engagiert für Zweck, Vision und Strategie der Organisation einstehen“

Unser „Weg“ bis zu einem Konzert war nicht selten anstrengend und forderte viel von jedem Einzelnen ab. Wir waren eng verbunden und alle zusammen – ich erlaube mir hier diese Generalisierung – sehr stolz darauf, Mitglied, als wesentlich(st)e Interessengruppe, dieses einzigartigen Klangkörpers zu sein. Dieses Gefühl konnte nicht militärisch verordnet werden, es ist zu einer Herzensangelegenheit geworden (vgl. „… führt den für Zweck, Vision und Strategie wichtigen Interessengruppen Auswirkung und Relevanz ihres Beitrags vor Augen, um ihnen damit die Bedeutung ihres Engagements klar zu machen und es zu erhalten.“). Erfolgserlebnisse (z.B. ein durchgeführtes Frühjahrskonzert) wurden gut selektiert, aber sehr bewusst und gemeinsam gefeiert. Unabhängig von Dienstgrad und Funktion wurden die Pforten ins Unteroffizierskasino geöffnet, wo bei einem gemeinsamen (vorzüglichem) Abendessen die Leistung des Orchesters vom Kommandanten gewürdigt wurde. Das motivierte unheimlich.

EFQM Kriterium 2: „Geführt wird auf allen Ebenen und in allen Organisationsbereichen“

Der Kapellmeister führt den Taktstock. Er hat vereinfacht dargestellt die Aufgabe, Takt, Dynamik oder Artikulation vorzugeben und seine Musiker „mitzunehmen“. Das ist eine Kunst! Ein guter Dirigent zeigt die Richtung. Er braucht dazu keine akrobatischen Verrenkungen zu machen und händeringend zu versuchen, Musiker zu führen. Dirigenten, die selbst mitsingen, hören nur eingeschränkt oder gar nicht, was die Musiker spielen. Sie hören nicht gut genug zu. Diese Dirigenten werden von den Musikern nicht wahrgenommen. Im Grunde reichen kleine Bewegungen, die die Richtung zeigen (z.B. schneller, langsamer, lauter, leiser). Die Qualität der Ausführung obliegt dem „Leadership“ des Einzelnen und der Dirigent vertraut genau darauf. Das ist Kultur. Kümmert sich der Dirigent vermehrt um eine Instrumentengruppe, läuft er Gefahr, gar nicht zu hören, was in anderen Registern passiert. Es reichen kleine, zarte Impulse zur Richtungskorrektur, wenn der Dirigent das Gefühl hat, es sollte anders intoniert werden. Oftmals ist es nur die Veränderung seiner Mimik, die das Orchester führt. Läuft alles nach Plan (nach Partitur), braucht man keinen Dirigenten. Jeder Musiker ist ermächtigt, das zu tun, was er zu tun hat. Auch die Entscheidung zu treffen, Passagen, denen er nicht gewachsen ist, auszusetzen. Kommt es zu einem musikalischen Richtungswechsel, dann braucht es den Dirigenten. Alle vertrauen auf ihn. Dieses Vertrauen muss er sich vor dem Auftritt erarbeiten. Hat er die Richtung angegeben, verlässt er sich wieder auf das Leadership seiner Musiker. Das ist die Aufgabe von Führungskräften: Richtung geben, Vertrauen schaffen, Fördern wo notwendig, abgrenzen und sich nicht einmischen, wo alles läuft. Genau wie bei einem gelernten Dirigenten.

„Zum Musizieren braucht man kein Militär“

Wie eingangs ausgeführt, kam ich nach 12 Monaten zur Auffassung, dass diese Aussage an der Wand neben dem Büro des Militärkapellmeisters für mich persönlich schlüssig ist. Warum? Die Kultur der Militärmusik hatte jene des Militärs, wie z.B. Gehorsam, Respekt, Durchhaltevermögen, Kameradschaft, Verantwortung oder Disziplin, als Basis. Diese Werte sind für ein professionelles Zusammenwirken im Klangkörper unverrückbar. Sie sind aber nur die Basis, denn Musizieren braucht mehr: u. a. Eigenverantwortung, Genauigkeit, Kreativität, Professionalität sowie das Verständnis dafür, nur im Kollektiv erfolgreich sein zu können und solistisch nur dann zu agieren, wenn in der Tat „Solo“ auf dem Zettel steht. Folgsamkeit aus innerer Überzeugung dem Dirigenten gegenüber ist notwendig, ebenso wie der Umstand zu verstehen, dass es gerade in künstlerischen Tätigkeitsfeldern persönliche „Hoch- und Tiefphasen“ gibt. „Fingerzeigen“ bringt das Orchester nicht weiter, sondern lediglich Verständnis und Unterstützung. Und deshalb ist es für mich richtig, dass es für das Musizieren in der Militärmusik kein Militär braucht, weil die spezifischen kulturellen Ansprüche noch weiter gehen müssen als beim Bundesheer im „eigentlichen“ Sinne.

Es waren herausfordernde, vor allem aber herausragende 12 Monate. Ich habe in diesem Artikel versucht, die Verbindung zum EFQM Modell herzustellen. Meine Führungsrolle in der Landesfeuerwehrschule Kärnten versuche ich ständig weiterzuentwickeln. Die gewonnenen Erfahrungen aus der Kultur der Militärmusik, deren Rückschlüsse ich persönlich gezogen habe und die keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit haben, sind für mich dabei sehr hilfreich. Natürlich auch meine Erkenntnis, dass ein Dirigent für die Auswahl der Musikstücke zuständig und mit seinem Orchester dann sicher unterwegs ist, wenn Impulse ausreichen, um Richtungen zu ändern, auch wenn diese auf einen ganz anderen Pfad (Transformation) leiten mögen.

Zum Autor

Ing. Klaus Tschabuschnig ist Leiter der Landesfeuerwehrschule Kärnten und gerichtlich beeideter Sachverständiger. Der ausgebildete Feuerwehroffizier leitet auch das Sachgebiet „Ausbildung und Landesfeuerwehrschulen“ im Österreichischen Bundesfeuerwehrverband und beschäftigt sich seit über 15 Jahren mit Qualitätsmanagement in der Erwachsenenbildung und Unternehmensqualität.

https://www.feuerwehr-ktn.at/

HIER kann man mehr über das EFQM Modell erfahren und es auch downloaden.

Foto: mein-klagenfurt.at

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