Die Pandemie als Organisationsentwicklung - Teil 2
COVID-19 und Unternehmensstruktur
Das COVID-19-Virus hat als Organisationsentwickler agiert. Effektiver, als Heerscharen von menschlichen Organisationsentwickler*innen es je könnten. Damit beschäftigt sich diese Blogserie.
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COVID-19 und Struktur
Das Virus hat sich ebenso auf die Aufbau- und Ablauforganisation vieler Unternehmen ausgewirkt. Denn das viel proklamierte Gebot der Stunde „Distanz“, hat den Babyelefanten in unsere Organigramme und Prozessabläufe gezeichnet. Per Lockdown #1 im März 2020 wurde die Telearbeit quasi flächendeckend (zumindest temporär) eingeführt. Homeoffice wurde vom „Fringe Benefit“ für verlässliche Mitarbeitende zur Notwendigkeit und Risk-Management-Strategie. Laptops und Webcams wurden vom Kostenfaktor zum ausverkauften Wunschobjekt.
COVID-19 hat in dieser Betrachtungsweise die Schwächen der eigenen Aufbau- und Ablauforganisation vielerorts aufgedeckt. Wo papiergebundene Prozesse dominiert haben und Anwesenheit die Maßzahl für Produktivität gewesen ist, musste man häufig stark kämpfen, um die Leistungsfähigkeit aufrecht zu erhalten. Andernorts war man zumindest technisch/strukturell besser vorbereitet. Man denke nur an die gute alte „Unterschriftenmappe“ im Vergleich zum digitalen Signaturprozess. Die kurzfristigen Auswirkungen haben v.a. den Ablauf betroffen, eine strategische Optimierung der Aufbauorganisation ist nur der logische Folgeschritt.
Führung, Kooperation und interne Kommunikation mussten sich dadurch anpassen und mit verändern. Das „Command & Control“ Denken alter Führungsschule funktioniert bei Homeoffice und Homeschooling nicht mehr wie gewohnt. Ziele und Aufgaben zu definieren, Selbstständigkeit zu fördern und auch private Verpflichtungen zu berücksichtigen, bringt sowohl neue Chancen als auch neue Belastungen mit sich. „Homeoffice extrem“ möchte ich es in einigen Lockdown Phasen bezeichnen.
Wo persönliche Meetingformate plötzlich reduziert oder verboten wurden, galt es andere Kanäle und Formate zu (er)finden. Das Webmeeting wurde zum neuen Stein der Weisen. Wobei bis heute viele Unternehmen diesen „Stein“ maximal als Briefbeschwerer nutzen, denn daraus Großartiges zu bauen. Die Technik wurde rasch nachgezogen, die Medienkompetenz und Didaktik hinken oft hinterher. Und in vielen Unternehmen ist MS Teams nur zum Telefon mit Bild aufgestiegen. Die vollen Potenziale bleiben oft ungenutzt.
COVID-19 und Kultur
Die Veränderungen in Strategie und Ablauforganisation bringen auch neue kulturelle Anforderungen mit sich. Gerade die erste Phase der Pandemie hat in vielen Unternehmen erhöhten Kollaborationsbedarf aufgezeigt. Der „Feind nach außen“ hat nach innen geeint. Denn die Lösung der aktuellen Probleme macht nicht an Abteilungsgrenzen halt. Hemdsärmelig wurde über Organigramm-Kästchen hinweg zusammengearbeitet.
In Telearbeit wurde auf Vertrauensbasis oft ohne gültige Telearbeitsvereinbarung und ohne bis ins letzte definierte Arbeitsanweisung das Uhrwerk „Unternehmen“ am Laufen gehalten. Wo Vertrauen ineinander vorhanden war, ist vielerorts eine Gruppenerfahrung entstanden, die auch in Jahren von heute noch hohes Storytelling-Potenzial in sich trägt. „Wir bleiben hier, damit Ihr zuhause bleibt!“ – dieser von sozialen Medien geprägte Aufschrei wird mir zumindest in Erinnerung bleiben.
Die proklamierte Unternehmenskultur und die vermarktete „Employer Brand“ wurde auf die Rüttelstrecke geschickt und konnten sich in ihren Qualitäten beweisen oder in ihren fehlenden Qualitäten bestätigen. Die digitalen Kompetenzen, die schon lange gefordert werden, können sich nun in täglichen ZOOM-Meetings beweisen. Und gleichzeitig wurde vor Augen geführt, wie einfach es eigentlich ist, die Sachebene am Laufen zu halten, und wie schwierig es ist, die Beziehungsebene in Unternehmen zu digitalisieren. Kultur jenseits des physischen Ortes – eine spannende Betrachtungsweise. Oder anders ausgedrückt: Unternehmen bestehen aus Kommunikationsereignissen, die Systemtheorie lässt grüßen.
Ein weiterer Kulturaspekt ist, dass plötzlich Mensch und Mitarbeiter stärker eins sein dürfen bzw. müssen. Wie gerne hält man als Unternehmen Privatleben und Berufsleben auseinander, versucht künstlich zu trennen was als Mensch ein Ganzes ist. Homeoffice und Homeschooling haben uns gezeigt, wo die Chancen aber auch die Grenzen liegen. Und auch diese Erfahrung wird uns weiter prägen, wenn es um die menschliche Komponente im Berufsleben geht. Personalleiter im Kapuzensweater statt Anzug in Webmeetings - mit dem rosa Kinderzimmer ihrer Tochter als Hintergrund inklusive. Wie erfrischend menschlich.
Auswirkungen auf Führung und Engagement
Von Winston Churchill soll das Zitat stammen: „Never waste a good crisis!“ – Verpasse nicht die Chance, die in einer Krise steckt. Die aktuelle Phase COVID19 ist für viele Unternehmen eine Phase, die bei aller Unsicherheit auch gewaltige Potenziale in sich trägt.
Sitzen wir die COVID19 Krise nicht nur aus, nutzen wir sie! Nutzen wir auch das Virus zu unseren Gunsten als Organisationsentwickler!!
Der aktuelle Blogbeitrag, der die „Vogelperspektive“ einnimmt, wird von weiteren Blogbeiträgen komplettiert werden, die in den kommenden Wochen erscheinen. Die Beiträge gehen jeweils Schlüsselfragen auf der Kultur-Ebene nach:
- Was bedeuten diese Veränderungen für Führung und Führungsarbeit?
- Was bedeuten diese Veränderungen für Betriebsklima und Engagement der Belegschaft?
Zum Autor
Mag. Gerd Beidernikl ist Gründer und Geschäftsführer der vieconsult GmbH, einem auf die Durchführung von Mitarbeiterbefragungen und 360° Führungsfeedbacks spezialisierten Institutes in Wien. Seit mehr als 15 Jahren begleitet er Unternehmen dabei, Feedback aus der eigenen Belegschaft einzuholen und für die Unternehmensentwicklung nutzbar zu machen. Mag. Gerd Beidernikl ist Soziologe, systemischer Coach, Trainer, zertifizierter Managementberater und unerschütterlicher Optimist, dass jeder Arbeitgeber ein sehr guter Arbeitgeber werden kann.