Die Pandemie als Organisationsentwicklung - Teil 3
Führung als Schlechtwetterjob
Das COVID-19-Virus hat als Organisationsentwickler agiert. Effektiver, als Heerscharen von menschlichen Organisationsentwickler*innen es je könnten. Damit beschäftigt sich diese Blogserie. In den ersten beiden Teilen dieser Blog-Serie standen die Auswirkungen der COVID19-Pandemie auf Strategie, Struktur und Kultur von Unternehmen im Zentrum. Wenn man so will: Die Vogelperspektive. In diesem Beitrag steht ein Teilausschnitt vertiefend im Fokus: Was bedeuten diese Veränderungen für Führung und Führungsarbeit?
Hier geht es zu Teil 1. Hier geht es zu Teil 2. Hier geht es zu Teil 4.
Führung als Schlechtwetterjob
Der Management-Vordenker Peter Druck hat den Satz geprägt „Leadership is a foul weather job – Führung ist ein Schlechtwetter-Job“. Und diesem Zitat kann ich persönlich viel abgewinnen. Denn viele Führungsqualitäten stehen in schwierigen Zeiten unter dem Vergrößerungsglas und treten überdeutlich hervor.
Nein, ich meine nicht den Ritter auf dem weißen Ross, den „great man“, der die frühen Führungstheorien geprägt hat. Ich rede von einem modernen Führungstypus bei dem „Mensch“ und „Manager“ gleichermaßen gefordert ist – was für mich letztlich in den strapazierten Begriff „Leadership“ mündet. Und es ist die Erinnerung, dass es bei Windstille und ruhiger See keinen wirklich guten Kapitän braucht, um per Motor an der Adria-Küste entlang unterwegs zu sein. Bei Starkwind, schlechter Sicht und hohen Wellen mitten am Atlantik (und der halben Crew seekrank) braucht es diesen schon. Nicht nur in der Situation, sondern auch schon lange davor, um die eigene Seemannschaft auf derartige Situationen vorzubereiten.
Wie müss(t)en Führungskräfte sein?
Bulletpoint-Aufzählungen von Führungseigenschaften laufen schnell Gefahr Superman/Wonderwoman zu beschreiben. Ich wage dennoch den Versuch.
- Ruhig & resilient sein: Im Sinne von die eigenen Emotionen im Griff haben, um trotz vorhandener Belastungen angstfrei zu agieren. Im Sinne von den eigenen Energiehaushalt und Stresslevel ausgleichen, um Energie zu haben für die Bewältigung der Krise
- Zuversichtlich & mutig sein: Zuversicht in die Bewältigung der Krisensituation generell aber v.a. auch Zuversicht in die eigenen Kompetenzen und in die eigene Handlungsfähigkeit. Krisen erfordern schnelles und konsequentes Handeln. Und das ohne 100% Erfolgsgarantie. Der Raum für Irrtümer ist gewaltig, der Raum für Fehler wird enger.
- Menschlich spürbar & verständnisvoll sein: Gerade in schwierigen Zeiten rückt der Mensch und nicht nur die Arbeitskraft „Mitarbeiter*in“ wieder stärker in die Betrachtung. Andererseits sollte nicht nur die/der „Manager*in“ präsent sein, sondern auch der „Mensch“ hinter der Führungskraft.
Wie müss(t)en Führungskräfte agieren?
- Klarheit suchen & Klarheit vermitteln: Eine Krise ist eine Zeit, der Wahrheit in die Augen zu schauen. Es geht nicht darum zu hoffen, es geht darum bestmöglich Fakten für die eigenen Entscheidungen zu suchen und Szenarien zu nutzen. Im besten Fall einen „Nordstern“ bieten. Krisenzeiten brauchen Klarheit über das „warum“ und/oder das „wohin“. Vermitteln Sie die Zielrichtung und den sinn-stiftenden Nutzen.
- Kommunizieren, kommunizieren, kommunizieren: Gerade in schwierigen Zeiten gilt es umso stärker zu kommunizieren. Denn Gerüchte und Fehlinformationen sind das Einzige, was manchmal mit Überlichtgeschwindigkeit zu reisen scheint. Nutzen Sie bewusst jede Kommunikationssituation, die Sie finden können.
- Fokussieren & konsequent handeln: Vermitteln Sie in Krisenzeiten klare operative Ziele, nächste Schritte und Prioritäten. Lassen Sie Unnötiges weg und erhöhen Sie in jedem Element die Klarheit über den Beitrag Ihrer einzelnen Teammitglieder. Das Wort Krise leitet sich aus dem griechischen Wort „krino“ = urteilen, entscheiden ab. Krisen sind damit Situationen die uns herausfordern, die richtigen Schlüsse zu ziehen und kraftvoll zu entscheiden. In Krisenzeiten gilt es aktiv zu bleiben und nicht zögerlich zu werden.
Führungsarbeit ist Rollenwahrnehmung
Der amerikanische Managementautor Michael Gerber hat in einem seiner Bücher die Unterscheidung zwischen „IM Unternehmen arbeiten“ und „AM Unternehmen arbeiten“ geprägt. Dabei beschreibt er es als Unternehmeraufgabe bzw. Aufgabe von unternehmerischen Führungskräften nicht nur im Unternehmen zu wirken, sondern durch das eigene Wirken die Organisation zu verändern – von graduellen Kurskorrektoren bis zum radikalen Turnaround.
Diese einfache Unterscheidung ist es, die aus meiner Sicht sehr gut die Haltungsfrage aber tlw. auch den Rollenwechsel in Krisensituationen markiert: Krisenzeiten sind Zeiten für Unternehmer und unternehmerische Führungskräfte. Es sind Zeiten für Gestalter, nicht Verwalter. Krisenzeiten verlangen damit nicht nur nach Führung, diese verlangen v.a. auch nach Unternehmertum. Unternehmen, die in den Jahren zuvor kultiviert haben, eigeninitiative und eigenverantwortliche Führungskräfte zu entwickeln, sind aus meiner Sicht auch jene Unternehmen, die die derzeitige Phase leichter bewältigen.
Führungsarbeit ist eine Haltungsfrage
Und zu guter Letzt erscheint mir in der Führungsarbeit die eigene Sichtweise auf die viel zitierte Krise entscheidend. „Krise“ als Wort löst oft schon Unbehagen aus, klingt dies doch so groß und gewaltig. Aber Krise ist letztlich auch nur ein Wort für dauerhaft ungünstige Rahmenbedingungen, die gegen unsere ursprünglichen Erwartungen, Ziele und Pläne stehen.
Klar, auch ich hatte mir als Unternehmern 2020/21 anders vorgestellt. Ich bin enttäuscht, wie sich mein Mikro-Schicksal in der weltweiten Pandemie entwickelt. Aber damit bin ich auch ent-täuscht. Ent-täuscht von endlosen Wachstumsphantasien, ent-täuscht über die Krisensicherheit meines eigenen Unternehmens und ent-täuscht über die Leistungsfähigkeit des eigenen Teams in einer Krise. Und dieser Schmerz ist auch ein Trennungsschmerz von der eigenen rosaroten Brille.
Rüttelstrecke für die Employer Brand
Letztlich ist die Krise damit auch eine Teststrecke für viele Führungskräfte und Arbeitgeberversprechen. Wie wir als Führungskräfte heute agieren wird die Kultur unserer Unternehmen maßgeblich prägen. Die Geschichten, die in COVID19 Tagen geschrieben werden, werden uns als „Corporate Heritage“ noch lange begleiten.
Daher wird der 4. und letzte Teil dieser Blog-Serie sich auch den Auswirkungen der COVID19-Pandemie auf das Betriebsklima in Organisationen und das Engagement der Mitarbeitenden widmen.
Zum Autor
Mag. Gerd Beidernikl ist Gründer und Geschäftsführer der vieconsult GmbH, einem auf die Durchführung von Mitarbeiterbefragungen und 360° Führungsfeedbacks spezialisierten Institutes in Wien. Seit mehr als 15 Jahren begleitet er Unternehmen dabei, Feedback aus der eigenen Belegschaft einzuholen und für die Unternehmensentwicklung nutzbar zu machen. Mag. Gerd Beidernikl ist Soziologe, systemischer Coach, Trainer, zertifizierter Managementberater und unerschütterlicher Optimist, dass jeder Arbeitgeber ein sehr guter Arbeitgeber werden kann.